Das Konnektom des Gehirns - von Verzweigung zu Verzweigung

Max-Planck-Forscher entwickeln neue Analysewerkzeuge, um Nervennetzwerke schnell und exakt zu rekonstruieren

28. Juli 2011

Das menschliche Gehirn ist das komplizierteste aller Organe. Milliarden von Nervenzellen sind darin mit ihren Fortsätzen zu einem hochkomplexen, dreidimensionalen Netz verwoben. Die Kartierung dieses Netzwerks stellt Wissenschaftler bislang vor eine kaum lösbare Herausforderung. Ein Forscherteam am Heidelberger Max-Planck-Institut für medizinische Forschung hat nun eine Methode entwickelt, um die Mammutaufgabe anzugehen. Dazu haben sie zwei neue Computerprogramme entwickelt, KNOSSOS und RESCOP. Mithilfe dieser Analysewerkzeuge haben mehr als 70 Studenten gemeinsam einen Verbund von über 100 Nervenzellen kartiert – deutlich schneller und weniger fehleranfällig als mit bisherigen Methoden.

Die Rekonstruktion von 114 bipolaren Nervenzellen von einem Stück Mausretina. Die Dendriten bilden dichte Bündel, an denen die bipolaren Zellen Signale von den Photorezeptoren erhalten. Die Zellkörper der bipolaren Zellen sind durch die grauen Bereiche markiert .

Um Nervennetze zu rekonstruieren, machen Forscher zunächst die Neurone in einem Gewebeschnitt mithilfe von Schwermetallfärbungen sichtbar. Unter Benutzung von dreidimensionalen elektronenmikroskopischen Bildern folgen sie dann ausgehend vom Zellkörper dem Verlauf der Dendriten und Axone und markieren die Verzweigungspunkte auf dem Bildschirm. Anschließend erstellen sie am Rechner ein dreidimensionales Bild des jeweiligen Ausschnitts. Nach und nach können sie sich so durch das Gewirr von Nervenzellen voranarbeiten. Ein langwieriges Unterfangen: Mit den bisher verfügbaren Programmen würde eine Person allein mindestens 30 Jahre brauchen, um einen Pfad von 30 Zentimetern zu rekonstruieren. Diese Verfahren sind zudem fehleranfällig, da die Verzweigungspunkte nicht immer leicht zu erkennen sind und die Aufmerksamkeit des Betrachters mit der Zeit nachlässt.

Die KNOSSOS Software verkürzt die benötigte Zeit beträchtlich: Verglichen mit den bisher verwendeten Programmen ist die Methode etwa 50mal schneller. Mithilfe von RESCOP ist es nun außerdem möglich, dass Dutzende Personen gleichzeitig an der Rekonstruktion mitarbeiten. Weil die Methode leicht zu erlernen ist, können auch Laien die Aufgabe übernehmen. Die meisten der Studenten arbeiteten von zu Hause aus und schickten ihre Ergebnisse elektronisch an die Wissenschaftler. Wie die Forscher nachweisen konnten, machten die besten Studenten dabei nicht mehr Fehler als erfahrener Neurobiologen. Dank ausgeklügelter Algorithmen ist RESCOP außerdem in der Lage, Unstimmigkeiten zu finden und herauszumitteln. Die Rekonstruktion ist damit nicht nur schneller, sondern auch zuverlässiger als bisher.

„Die neuen Programmen könnten es uns erstmals ermöglichen, das komplizierte Nervennetzwerk des Gehirns zu entwirren – eine Aufgabe, noch wesentlich komplexer als die Entschlüsselung des menschlichen Genoms“, sagt Winfried Denk. Als Nächstes wollen die Wissenschaftler ein Stück der Großhirnrinde rekonstruieren, denn dort finden alle wichtigen geistigen Prozesse statt.

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