Stress bei Zebrafischen

Forschungsbericht (importiert) 2013 - Max Planck Institut für medizinische Forschung

Autoren
Ryu, Soojin
Abteilungen
Max Planck Research Group Developmental Genetics of the Nervous System
Zusammenfassung

Die Fähigkeit eines Tieres, auf Stress zu reagieren, kann in einer ungewohnten und feindlichen Umgebung über Leben und Tod entscheiden. Soojin Ryu erforscht am Max-Planck-Institut für medizinische Forschung anhand von Zebrafischlarven, wie Stress das Gehirn und das Verhalten verändert.

Die Stressantwort ist Ausdruck einer komplexen, physiologischen Anpassungsreaktion eines Tieres auf Umweltreize, welche die Homöostase – den Gleichgewichtszustand des Körpers – gefährden. Während die Stressantwort für ein Tier kurzfristig überlebenswichtig ist, steht eine anhaltende Stressantwort bei Menschen im Zusammenhang mit einer Reihe von Störungen wie Adipositas, Schlaflosigkeit, Herzerkrankungen, Gedächtnisstörungen, Angst und Depressionen. Angesichts der enormen Kosten, die der Gesellschaft durch stressbedingte Beschwerden entstehen, geht es beim Verständnis der Wirkungsweise von Stress auf molekularer und zellulärer Ebene nicht nur um eine grundlegende biologische Frage, sondern auch um eine dringende medizinische und gesellschaftliche Notwendigkeit. Aufgrund der Komplexität des Stresssystems ist die Analyse der Mechanismen, die der Wirkungsweise von Stress zugrunde liegen, eine große Herausforderung. Die von Soojin Ryu geleitete Forschungsgruppe am Max-Planck-Institut für medizinische Forschung hat Zebrafischlarven als neues und einfacheres Modell für die Stressforschung etabliert.

Warum Zebrafische?

Der Zebrafisch (Danio rerio) ist ein kleiner Knochenfisch, der in jüngster Zeit in der neurobiologischen Forschung zunehmende Verbreitung gefunden hat [1]. Das Zebrafischsystem hat den Vorteil, dass es quasi ein kleineres Wirbeltier-Modell ist. Das bedeutet, dass sich im Zebrafisch viele wirbeltierspezifische Eigenschaften finden, die jedoch durch eine geringere Anzahl von Zellen abgebildet und gesteuert werden und damit einfacher zu untersuchen sind. Weiterhin sind Zebrafischlarven transparent und genetisch hervorragend zugänglich (Abb. 1). Dadurch kann eine zelltypspezifische Manipulation auf einfache Weise mit einer Untersuchung des Nervensystems kombiniert werden [2]. Ferner gleichen viele Aspekte des Stressantwortsystems von Zebrafischlarven denen in Säugetieren, so dass die bei Zebrafischen gewonnenen Informationen genutzt werden können, um den Stress bei Säugetieren besser zu verstehen.

Stressbewältigung – das Verhalten von Zebrafischlarven unter Stress

Bei Gefahr oder Bedrohung muss ein Tier schnelle Verhaltensentscheidungen treffen, um zu überleben. Diese Entscheidungen dienen zum einen dazu, die Bedrohung zu vermeiden. Je nach den Umständen kann ein Tier beispielsweise entscheiden, vor der Bedrohung zu flüchten oder sich zu verstecken. Zum anderen werden unter Stress jene Verhaltensweisen gewählt, die nützlich sind, um mit dem Stressfaktor, dem sog. Stressor,  zurechtzukommen. Dabei werden die Verhaltensweisen, die nicht sofort benötigt werden, unterdrückt. Wir alle haben schon die Erfahrung gemacht, unter Stress nicht mehr schlafen zu können oder appetitlos zu sein. Zeigen Zebrafischlarven solche Stressreaktionen?

Die Forschung am Max-Planck-Institut für medizinische Forschung zeigt erstmals, dass Zebrafischlarven ihre Verhaltensstrategien genauso wie Säugetiere anpassen, um mit Stress zurechtzukommen. In Gegenwart einer Bedrohung zeigen Zebrafischlarven schnelle Vermeidungsreaktionen. Zum Beispiel entfernen sie sich rasch von der Quelle einer konzentrierten Säure, von Salz oder auch von einer mechanischen Bewegung. Wenn sie solchen Stressoren ausgesetzt sind, verändert sich ihre Reaktivität auf verschiedene sensorische Reize in erheblicher Weise. Zum Beispiel reagieren gestresste Zebrafischlarven unterschiedlich auf verschiedene sensorische Reize wie Licht, mechanische Reize oder Temperatur. Diese Veränderung ist nicht spezifisch in Bezug auf die sensorischen Modalitäten, sondern dient eher der Verbesserung ihrer Fähigkeit, die Umgebung wahrzunehmen und mit ihr zu interagieren: eine extrem nützliche Eigenschaft in „Krisenzeiten“. Im Gegensatz dazu werden jene Verhaltensweisen unterdrückt, die nicht unmittelbar benötigt werden, um mit Stresssituationen umzugehen, wie zum Beispiel die Nahrungsaufnahme.

Die hier beschriebenen kurzfristigen Auswirkungen von Stress auf das Verhalten korrespondieren in bemerkenswerter Weise mit Beobachtungen von Stressantworten in anderen Tierarten und belegen, dass Zebrafischlarven ein vielversprechendes Modell zum Verständnis dieser Prozesse sind.  

Den Schalter umlegen – optogenetische Steuerung von Verhalten unter Stress

Wie werden nun die kurzfristigen Auswirkungen von Stress auf das Verhalten vermittelt? Bei der Steuerung der Stressantwort sind hauptsächlich zwei Systeme beteiligt: die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse (Hypothalamus-Pituitary-Adrenal-Achse HPA) und der Sympathikus, sprich das sympathische Nervensystem. Im Allgemeinen geht man davon aus, dass die schnelle fight-or-flight-Reaktion auf die Bedrohung durch den Sympathikus vermittelt wird, während die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse verschiedene Aspekte der Stressantwort  steuert [3]. Bei physiologischem, emotionalem oder psychischem Stress werden Stresshormone vom Hypothalamus ausgeschüttet, die auf den Hypophysenvorderlappen wirken und dort zur Ausschüttung eines anderen Stresshormons (Adrenocorticotropin) in den allgemeinen Blutkreislauf führen. Dies wiederum führt zur Ausschüttung von Glucocorticoiden aus der Nebennierenrinde. Glucocorticoide sind finale Effektoren der Stressachse mit zahlreichen Zielen sowohl im zentralen wie im peripheren Nervensystem [4]. In allen Wirbeltieren stellt die sogenannte HPA-Achse ein Schlüsselelement der Stressantwort dar, welches unzählige Stressreaktionen vermittelt.

Aufgrund der Vielfalt und Komplexität der Stressantwort ist es überaus wichtig, spezifische Auswirkungen von individuellen Stresshormonen zu entschlüsseln. Da Stressbedingungen jedoch alle drei Ebenen der HPA-Achse aktivieren, war es schwierig, die spezifische Auswirkung eines einzelnen Stresshormons zu erfassen. Hierfür wird eine Methode benötigt, mit der ein spezifisches Stresshormon in seinem endogenen Bereich selektiv untersucht werden kann. Durch die gezielte Genmodifikation von optogenetischen, lichtgesteuerten Proteinen für die spezifischen Komponenten der Stressachse gelang den Max-Planck-Forschern in Heidelberg eine temporär präzise und nicht-invasive Manipulation der Stressantwort. Die Optogenetik ist eine neue spannende Technik in den Neurowissenschaften, bei der optische und genetische Verfahren eingesetzt werden, um die Zellaktivitäten von lebenden Tieren zu steuern. Diese Technik wurde bislang in großem Umfang für die Steuerung zahlreicher physiologischer Prozesse verwendet, jedoch noch nicht bei der Stressreaktion.

Am Zebrafisch zeigt Ryus Forschungsgruppe erstmalig, dass eine optogenetische Steuerung der Stressreaktion möglich ist. In einem Fall exprimierten sie photoaktivierbare Adenylatzyklase in Hypophysenzellen, um mit Hilfe von blauem Licht die Ausschüttung von Adrenocorticotropin zu stimulieren, und erzielten anschließend die Erhöhung des Glucocorticoid-Werts (Abb. 2) [5]. Mit dieser Methode konnten sie verschiedene Stressreaktionen sowohl induzieren als auch modulieren und auf diese Weise zeigen, dass eine optogenetische Steuerung von Stressreaktionen möglich ist.

Stresssteuerung – Steuerung der neuronalen Schaltkreise durch ein Stresshormon

Eines der Schlüsselziele von Glucocorticoiden sind die neuronalen Schaltkreise, welche die Stressantwort steuern. Hierbei dient sogenanntes negatives Feedback durch Glucocorticoide nicht nur dazu, die fortgesetzte Stressreaktion zu begrenzen, sondern auch zu beeinflussen, wie diese Schaltkreise bei zukünftigen Stressbedingungen reagieren. Zwar liegen umfangreiche In-vitro-Daten vor, aber die In-vivo-Wirkung von Glucocorticoiden ist komplex und erfordert ein Modell, das die In-vivo-Dynamik des veränderlichen Glucocorticoid-Werts nachbildet. Soojin Ryu und ihr Team  konnten zeigen, dass Glucocorticoide die neuronale Genexpression im Hypothalamus kurzfristig steuern und auch ihre langfristige Entwicklung in den wichtigsten stressrelevanten Regionen im Hypothalamus beeinflussen. Hierzu identifizierten sie zunächst den genauen Ort in den entsprechenden Regionen im Zebrafisch und zeigten, dass sich die molekularen und zellulären Signaturen in der jeweiligen Region im Zebrafisch und bei Nagetieren auffallend ähneln (Abb. 3) [6, 7]. Das deutet darauf hin, dass die in Zebrafischen gewonnenen Erkenntnisse über die Stressmechanismen eine hohe Relevanz für das Säugetiersystem haben werden. Anschließend untersuchten die Forscher die Auswirkung einer Manipulation des Glucocorticoid-Werts auf diverse Typen von Nervenzellen in dieser Region. In Zusammenarbeit mit Johann Bollmann, Forschungsgruppenleiter am Max-Planck-Institut für medizinische Forschung, werden darüber hinaus auch die funktionellen Veränderungen in spezifischen Zellpopulationen mit Hilfe von fluoreszenzmikroskopischen Messungen der Nervenzellaktivität untersucht. Diese unterschiedlichen experimentellen Ansätze zusammengenommen werden neue Erkenntnisse bringen, wie Stress die Funktionsweise neuronaler Schaltkreise und die Entwicklung im Hypothalamus beeinflusst.

Literaturhinweise

1.
Rinkwitz, S.; Mourrain, P; Becker, T. S.
Zebrafish: an integrative system for neurogenomics and neurosciences
Progress in Neurobiology 2, 231-43 (2011)
2.
Friedrich, R. W.; Jacobson, G. A.; Zhu, P.
Circuit neuroscience in zebrafish
Current Biology 20, R371-381 (2010)
3.
Charmandari, E.; Tsigos, C.; Chrousos, G.
Endocrinology of the stress response
Annual Review of Physiology 67, 259-284 (2005)
4.
Sapolsky, R. M.; Romero, L. M.; Munck, A. U.
How do glucocorticoids influence stress response? Integrating permissive, suppressive, stimulatory, and preparative actions
Endocrine Reviews 21, 55-89 (2000)
5.
De Marco, R.M.; Groeneberg, A. H.; Yeh, C. M.; Castillo, L.; Ryu, S.
Optogenetic elevation of endogenous glucocorticoid level in larval zebrafish
Frontiers in Neural Circuits. 7, 82 (2013)
6.
Herget, U.; Wolf, A.; Wullimann, M.; Ryu, S.
Molecular neuroanatomy and chemoarchitecture of the neurosecretory preoptic hypothalamic area in zebrafish larvae
Journal of Comparative Neurology (ePub ahead of print: DOI 10.1002/cne.23480)
7.
Wolf, A; Ryu, S.
Specification of posterior hypothalamic neurons requires coordinated activities of Fezf2, Otp, Sim1a and Foxb1.2
Development 140, 1762-73 (2013)
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