Kollateralschäden bei Messungen am Röntgen-Freie-Elektronenlaser (XFEL)

Neue Erkenntnisse in Nature Communications und Physical Review Research

15. März 2021
Die 30.000-fach erhöhte Feuerrate der neuen Generation Freie-Elektronenlaser im Röntgenbereich (XFEL) ermöglicht völlig neue Untersuchungen der Dynamik molekularer Mechanismen und chemischer Vorgänge. Allerdings könnte die extrem schnelle Abfolge von Röntgenpulsen die untersuchte Probe selbst grundlegend verändern. Diese Problematik ist nun von Wissenschaftlern der Abt. Biomolekulare Mechanismen am MPI für medizinische Forschung in Heidelberg gemeinsam mit einer internationalen Forschergruppe unter der Leitung von Ilme Schlichting, Direktorin am MPI, und Claudiu Stan, Assistent Professor an der Rutgers University-Newark, untersucht worden. Ihre Studien sind kürzlich in Nature Communications und Physical Review Research erschienen.

Freie-Elektronenlaser im Röntgenbereich (XFEL) sind neuartige Röntgenquellen, deren extrem intensive, aber auch extrem kurze Röntgenpulse zu experimentellen Durchbrüchen und neuen Erkenntnissen in vielen Bereichen geführt haben. Die Pulse können Femtosekunden kurz sein: also ein milliardstel eines millionstels einer Sekunde. Dadurch können beispielweise molekulare Reaktionen in Echtzeit gefilmt werden. Dies hat zu einzigartigen neuen Erkenntnissen über Dynamik und Mechanismen geführt, die nicht nur von grundsätzlichem Interesse sind, sondern auch wichtig beispielsweise für die Entwicklung verbesserter Medikamente, Katalysatoren oder Akkus.

Messungen an XFELs sind daher für viele Forscher weltweit unentbehrlich. Der Zugang zu diesen kilometerlangen Großforschungseinrichtungen ist jedoch sehr begrenzt, da auf der ganzen Welt nur wenige existieren. Die Anlagen der ersten Generation erzeugten außerdem nur verhältnismäßig wenige (30-120) Pulse pro Sekunde, was das Datensammeln stark verlangsamt. Die neue Generation basiert nun auf Supraleitertechnologie und erlaubt eine 30.000-fach höhere Pulsrate: bis 4,5 Millionen Pulse pro Sekunde, auch 4,5 MHz genannt. Sollte diese hohe Rate auch voll genutzt werden können, könnten Messzeiten beschleunigt werden und viel mehr Experimente möglich sein

Explosive Schüsse

Mehr Pulse pro Sekunde bedeuten kürzere Zeitintervalle dazwischen: 220 Nanosekunden bei 4,5 MHz. Messungen in dieser Geschwindigkeit durchzuführen, ist eine Herausforderung. Vor allem müssen Detektoren und Datenverarbeitung mit dieser Datenlawine Schritt halten können, und die Probe muss entsprechend schnell in den Röntgenstrahl gebracht werden. Im Falle biologischer Proben geschieht dies meist mit einem extrem schnellen und mikroskopisch feinen Flüssigkeitsstrahl. Nachdem der hochenergetische Röntgenpuls diesen getroffen hat, explodiert die Probe und es entsteht eine Druckwelle, die nachfolgende Probenbereiche durchläuft. Wenn die Pulse zu schnell erfolgen, kann jeder untersuchte Probenbereich durch die Messung am ‚Vordermann‘ geschädigt worden sein. Druck ist ein fundamentaler Parameter, der Struktur und Funktion von Molekülen beeinflusst. Dieses Problem muss bei künftigen Messungen berücksichtigt werden, um Artefakte zu vermeiden; das volle Potential der Methode wird sich eventuell nicht bei allen Anwendungen realisieren lassen.

Die Ergebnisse

Zwei neu erschienene Veröffentlichungen in Nature Communications und Physical Review Research von Wissenschaftlern der Abt. Biomolekulare Mechanismen am MPI für medizinische Forschung in Heidelberg gemeinsam mit einer internationalen Forschergruppe unter der Leitung von Ilme Schlichting, Direktorin am MPI, und Claudiu Stan, Assistent Professor an der Rutgers University-Newark, beschreiben die Wirkung explosionsinduzierter Druckwellen in einem Probenstrahl auf darin enthaltene Kristalle biologischer Moleküle. Bei rapide aufeinanderfolgenden Röntgenpulsen wurde beobachtet, dass die vom ersten Puls erzeugte Druckwelle tatsächlich die Integrität der Probe beinträchtigte: Nicht nur die erreichbare Auflösung der erhaltenen molekularen Strukturdaten, sondern auch Details der Struktur selbst waren verändert. Dies kann die korrekte Bestimmung der molekularen Struktur verhindern, was eventuell zu falschen Schlussfolgerungen über Dynamik und Wirkungsweise der untersuchten Moleküle führen könnte. Diese Erkenntnisse werfen Fragen bezüglich der MHz Datensammlung an den neuen XFELs auf, zeigen jedoch auch, wie das Problem einzuschätzen ist und wie die Experimente verändert werden könnten, um die vollen 4.5 MHz der neuen XFELs auszunutzen.

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