Das Institut trauert um Kenneth C. Holmes
Ken Holmes war gebürtiger Engländer. Nach dem Physikstudium an der Universität Cambridge wurde er am renommierten Birkbeck College in London promoviert. Unter dem Einfluss von J. D. Bernal und Rosalind Franklin hatte er seine Leidenschaft für Biologie entdeckt und arbeitete an der Strukturbestimmung des Tobakmosaikvirus (TMV) mittels Röntgenbeugung. Diesen prägenden Jahren folgten Forschungsaufenthalte bei Carolyn Cohen in den USA und bei Hugh Huxley am MRC-Labor für Molekularbiologie in Cambridge (England). Dort gelang ihm der erste Nachweis, dass sich die Form der sogenannten ‚Querbrücken‘ der Myosinfilamente des Muskels in Abhängigkeit von der Energiequelle ATP ändert.
Bereits im Alter von 34 Jahren erhielt Ken den Ruf nach Heidelberg und zog 1967 mit seiner Familie aus Cambridge um. Zu diesem Zeitpunkt hatte er aufgrund seiner Arbeiten an Viren bereits Kontakte zum MPI in Tübingen. Aufgrund seines ungewöhnlich jungen Alters wurde er 1968 zunächst lediglich Leiter einer ‚Gast-Abteilung‘ ̶ erst 1973 wurde er zum Direktor ernannt. Sein Interesse an der Muskelkontraktion begleitete ihn nach Heidelberg. Er interessierte sich insbesondere dafür, die Strukturänderungen in aktiv kontrahierenden Muskeln zu charakterisieren, wofür die Intensität herkömmlicher Röntgenquellen nicht ausreichend war. Mit großem Weitblick erkannte Ken das Potential der intensiven Röntgenstrahlung, die als Nebenprodukt an Hochenergiebeschleunigern entsteht. Am DESY in Hamburg nutzten er und seine Mitarbeiter zum ersten Mal die intensive Strahlung für Kleinwinkelstreuung an Muskelfasern.
Ken erkannte bereits in den 1970er Jahren das enorme Potential der Synchrotronstrahlung für die biologische Forschung und konstruierte am DESY die weltweit erste Messstation für Proteinkristallographie und Faserdiffraktion. Letztendlich führte dies nicht nur zur Gründung von EMBL, sondern revolutionierte die Strukturbiologie. Synchrotronstrahlung ist aus der Strukturbiologie nicht mehr wegzudenken und ermöglichte unzählige wissenschaftliche Durchbrüche.
Sein Interesse galt auch der atomaren Struktur der Myosin- und Aktinfilamente des Muskels. Die Bestimmung der atomaren Struktur von Aktin stellte eine große Herausforderung dar: Kristalle des Monomers lagen vor, aber die Zellparameter variierten unkontrollierbar. Trotz dieser Schwierigkeiten gelang ihm und seinen Mitarbeitern 1990 der Durchbruch: Die atomare Struktur des Aktinmonomers und dessen Struktur und Anordnung im Aktinfilament konnten bestimmt werden. Dabei entwickelte er neue methodische Ansätze, die weit über die spezielle Anwendung in der Muskelforschung hinausreichten.
Kurz danach wurde von Anderen die molekulare Struktur auch von Myosin bestimmt. Allerdings lieferte diese Struktur keine Hinweise auf eine eventuelle Konformationsänderung, die den ‚Schlag‘ der Querbrücke erklären könnte. Ken vertiefte sich in die detaillierten atomaren Strukturen von Myosin und verwandten Proteinen. Schließlich konnte er diese funktionell entscheidende Änderung identifizieren und die Koppelung mit der Spaltung des gebundenen ATP nachvollziehen. Damit lieferte Kens Arbeit an den beiden Proteinen Myosin und Aktin endlich die entscheidende Information zum Mechanismus der Muskelkontraktion.
Kens unkonventionelle Art, seine Abteilung zu führen, und sein Vertrauen in die Mitarbeiter schafften eine Atmosphäre für außergewöhnlich erfolgreiche Forschung.
Ken Holmes war ein genialer Forscher mit einem feinen Gespür für das Wesentliche. Seinen Mitarbeitern gestattete er ein Maximum an Selbstverantwortung, entsprechend seiner unkonventionellen und aufgeschlossenen Art. So ist es nicht verwunderlich, dass aus seiner Abteilung eine ganze Reihe ausgezeichneter Wissenschaftler hervorgegangen sind. Sein Geist wird uns immer begleiten.