Die hohe Kunst der Faltung: Mit RNA-Origami künstliche Zellen aufbauen

Forschungsbericht (importiert) 2024 - Max Planck Institut für medizinische Forschung

Autoren
Göpfrich, Kerstin
Abteilungen
Max-Planck-Institut für medizinische Forschung, Heidelberg
Zusammenfassung
Das Ziel der synthetischen Biologie ist es, Leben aus nicht-lebenden Bausteinen zu erschaffen. Eine neue Technologie ebnet einen bislang unbekannten Weg: Sie nutzt die Multifunktionalität des natürlichen Biomoleküls RNA und faltet diese zu neuen Bausteinen, sodass die bisher unerlässliche Proteinsynthese verzichtbar wird. Mit dieser RNA-Origami-Technik ist zuletzt ein weiterer Durchbruch gelungen: die Entwicklung eines künstlichen Zytoskeletts für synthetische Zellen – die potenzielle Basis für komplexere RNA-Maschinerien. Die Technologie wird schon in der synthetischen Immunologie angewandt.

Der Bauplan des Lebens

Das menschliche Streben, Leben zu verstehen und nachzubauen, hat die Wissenschaft zu einer faszinierenden Disziplin geführt: der synthetischen Biologie. Doch wie konstruiert man eine Zelle, die aus nicht-lebenden Bausteinen besteht, dennoch verschiedene, vorgegebene Funktionen erfüllen kann und dafür ihre molekulare Maschinerie selbst zusammenbaut?

Der zelluläre Bauplan von Leben ist komplex. Er folgt dem sogenannten zentralen Dogma der Molekularbiologie, das beschreibt, wie genetische Information in einer Zelle umgesetzt wird: DNA (die Erbinformation) wird in RNA (eine funktionale Kopie) umgeschrieben (transkribiert), und diese RNA wird anschließend in Proteine übersetzt, die die Arbeit der Zelle verrichten. Proteine sind die molekularen Maschinen, die für fast alle biologischen Prozesse verantwortlich sind – vom Stoffwechsel bis hin zur Zellbewegung. Doch die Herstellung von Proteinen in der Zelle erfordert eine Vielzahl von molekularen Komponenten und Prozessen.

RNA spielt eine Hauptrolle

Auch eine synthetische Zelle, die diesem Dogma folgt, würde das gesamte Transkriptions- und Translationssystem benötigen. Allein für die Synthese von Proteinen sind über 150 Gene erforderlich. Diese hohe Komplexität macht es schwierig, eine minimalistische synthetische Zelle zu schaffen.

Als Leben auf der Erde entstand, müssen einfachere Übersetzungsmechanismen grundsätzliche Funktionen wie Selbstreplikation und Evolution ermöglicht haben. RNA hat dabei vermutlich eine entscheidende Rolle gespielt, denn RNA kann sowohl Information speichern als auch chemische Reaktionen katalysieren. Bestimmte RNA-Sequenzen können zum Beispiel eine Kopie ihrer selbst erzeugen.

Ohne Proteinsynthese ans Ziel

Auch beim Bau synthetischer Zellen könnte RNA helfen: Was wäre, wenn wir die im zentralen Dogma der Molekularbiologie beschriebene Proteinsynthese überspringen könnten? RNA selbst könnte als molekulares Werkzeug dienen, das synthetische Zellen mit gewünschten Funktionen ausstattet – ohne den Umweg über Proteine! Im Gegensatz zu DNA-Origami lassen sich RNA-Origami-Strukturen direkt in der Zelle oder in einem synthetischen Vesikel produzieren – mit nur einem einzigen Protein, der RNA-Polymerase. Die RNA wird noch während der Transkription, also bei ihrer Synthese aus einer DNA-Vorlage, bei konstanter Temperatur gefaltet.

Falten nach Plan: Algorithmen zur präzisen Umsetzung

Damit das wie gewünscht gelingt, entwerfen wir die DNA-Sequenz, die für das zu faltende RNA-Origami kodiert, in einem computergestützten Prozess. Wir überlegen uns die gewünschte Form, die die RNA nach ihrer Faltung annehmen soll. Dann nähern wir uns dieser Form an, indem wir sie aus RNA-Motiven zusammensetzen. Diese Motive können einfach sein, wie beispielsweise ein RNA Doppelstrang, oder komplexer, wie RNA Schlaufen (Kissing Loops) oder andere nicht-kanonische Sekundärstrukturen.

Im nächsten Schritt wird dieser RNA-Struktur ihre Sequenz zugeordnet. Damit sie sich auch wie geplant faltet, entwickeln wir passende Algorithmen. Schließlich wird die RNA-Sequenz in eine DNA-Vorlage übersetzt und mit entsprechenden Promotor-Sequenzen versehen, damit die RNA-Polymerase im Experiment die gewünschte RNA auch produziert. Die DNA-Vorlage – also das „Gen“, das für unser RNA Origami kodiert, – wird dann synthetisiert und in den künstlichen Zellen durch die Polymerase abgelesen, die dann die entsprechenden RNA-Sequenzen bildet. Diese falten sich schließlich in die geplante Form.

Premiere: ein künstliches Zytoskelett aus RNA

2024 gelang es uns, das erste Bauelement für synthetische Zellen aus RNA-Origami zu realisieren: ein künstliches Zytoskelett. Das Zytoskelett ist ein essenzielles Strukturelement natürlicher Zellen, das diesen Stabilität, Form und Beweglichkeit verleiht. Wir haben RNA so gestaltet, dass sie sich nach der Transkription zu röhrenförmigen Strukturen zusammenfügt (Abbildung 1). Diese RNA-Origami-Röhren, die mehrere Mikrometer lang sind, bilden ein Netzwerk, das einem natürlichen Zytoskelett ähnelt.

Dafür entwarfen wir eine DNA-Vorlage, die wir mit RNA-Polymerase in Vesikeln einkapselten. Diese Polymerasen „produzierten“ dann die gewünschten RNA-Strukturen. Mutationen in unserem „Zytoskelett-Gen“ verändern die Eigenschaften der RNA-Skelette wie deren Steifigkeit oder Form. So entstanden auch RNA-Ringe aus nur wenig veränderten Grundbausteinen; zudem konnten die RNA-Zytoskelette die Vesikel aktiv verformen. Indem wir spezielle Moleküle – RNA-Aptamere – hinzufügten, konnten wir das künstliche Zytoskelett an den Membranen verankern. So ließen sich gezielt Netzwerke aufbauen, die an der inneren Wand der synthetischen Zellen hafteten (Abbildung 2).

Auf zu neuen Horizonten

Zytoskelett-ähnliche RNA-Origami-Strukturen sind nur ein erster Schritt hin zu einer molekularen Maschinerie aus RNA für synthetische Zellen. Neben den Zytoskeletten arbeiten wir aktiv an Zellmembran-durchspannenden Poren, die mittels spezieller Lipid-bindender RNA-Sequenzen (Lipid-Aptamere) in der Zellhülle verankert werden. Rationales Design gelingt dann, wenn wir Struktur-Funktionszusammenhänge kennen.

Bei noch komplexeren Funktionen kann die Evolution nachhelfen, denn die RNA-Faltung lässt sich durch Mutationen in der DNA-Vorlage verändern. Kleine Änderungen an der Sequenz können dazu führen, dass die RNA völlig unterschiedliche Strukturen bildet. Gerichtete Evolution synthetischer Zellen kann so neue Horizonte eröffnen.

Werkzeuge für die synthetische Immunologie

Schon heute zeigen sich weitere praktische Anwendungen von RNA-Origami. RNA-Origami kann als wesentliches Werkzeug für einen Bottom-up Ansatz in der synthetischen Immunologie genutzt werden: Es ermöglicht die präzise Antigenpräsentation mit definierter Valenz und Abstand, um Immunzellen gezielt zu stimulieren. Dank seiner doppelsträngigen Faltung ist RNA-Origami zudem deutlich stabiler als herkömmliche RNA – ideal für den Einsatz in der Immuntherapie und biomedizinischen Forschung. Verpackt in Lipidvesikeln könnte Schritt für Schritt eine synthetische Immunzelle entstehen.

Literaturhinweise

Kriebisch, C.; Bantysh, O.; Baranda, L.; Belluati, A.; Bertosin, E.; Dai, K.: ... Göpfrich, K.: Weber, C.: Boekhoven, J.
A roadmap towards the synthesis of Life
Chem. In Press (2024)
Tran, M. P.; Chakraborty, T.; Poppleton, E.; Monari, L.; Giessler, F.; Göpfrich, K.
Genetic encoding and expression of RNA origami cytoskeletons in synthetic cells
Nature Nanotechnology (2024)
Poppleton, E.; Urbanek, N.; Chakraborty, T.; Griffo, A.; Monari, L.;  Göpfrich, K.
RNA origami: design, simulation and application
RNA Biology, 20 (1), 510-524 (2023)
Göpfrich, K.; Platten, M.; Frischknecht, F.; Fackler, O. T.
Bottom-up synthetic immunology
Nature Nanotechnology, 19 (11), 1587-1596 (2024)
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