Viren, die ihren Wirt vor anderen Viren schützen
Wenn beide Seiten profitieren – in dieser gegenseitig vorteilhaften Symbiose fungieren Virophagen als Abwehrsystem gegen Riesenviren für ihre marinen, einzelligen Wirtsorganismen
Wissenschaftler*innen des Max-Planck-Instituts für medizinische Forschung in Heidelberg zeigen, dass eine Gruppe von Viren, die als Virophagen bezeichnet werden, häufig im Genom ihrer einzelligen Wirte zu finden sind. Auf früheren Erkenntnissen aufbauend, dass Virophagen die Planktonart vor einer Infektion durch sogenannte Riesenviren schützen, zeigen sie nun, dass diese nützlichen Virophagen in vier wilden Populationen des marinen Protisten Cafeteria vorkommen. Die Ergebnisse, die kürzlich in eLife veröffentlicht wurden, legen nahe, dass dieses für beide Seiten vorteilhafte Abwehrsystem in der Natur weit verbreitet und für die Ökologie und Evolution dieser Mikro-Meeresbewohner relevant ist.
Viren kommen in allen Ökosystemen in großer Zahl vor und infizieren dort verschiedenste Organismen. Nicht alle Viren sind jedoch schlecht für ihre Wirte. Eine Gruppe von Viren, die als „Virophagen“ bezeichnet werden, kann ihre Wirte sogar vor einer Infektion durch sogenannte Riesenviren schützen, die den Wirt sonst töten würden. Um sich zu vermehren, müssen Virophagen eine Wirtszelle finden, die mit einem Riesenvirus infiziert ist. Denn Virophagen benötigen bestimmte Enzyme des Riesenvirus, um ihre eigenen Gene zu exprimieren und ihr Erbgut so zu vervielfältigen. Da Virophagen also zwei biologische Einheiten benötigen (Wirtszelle und Riesenvirus), können sie ihre Chancen auf Vermehrung erhöhen, indem sie sich an eine der beiden anlagern.
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Forschungsgruppe „Protist Viruses“ am MPI für medizinische Forschung in Heidelberg untersuchen den Virophagen Mavirus, der sein Genom in die DNA des marinen Protisten Cafeteria sp. Integriert. Zu den Protisten zählen neben diesem bakterienfressenden Einzeller auch Amöben, mikroskopische Algen, das Wimperntierchen Paramecium (Pantoffeltierchen) und menschliche Parasiten wie Plasmodium oder Toxoplasma. Wenn der Virophage Teil des Cafeteria-Genoms ist, wird er erst wieder aktiv, wenn das Riesenvirus CroV die Wirtszelle infiziert. Die neu freigesetzten Mavirus-Partikel hemmen dann die Vermehrung von CroV wenn beide Viren gemeinsam die nächste Zelle infizieren. Nach dem alten Sprichwort "der Feind meines Feindes ist mein Freund" kann eine Population von Cafeteria-Zellen so eine Infektion mit CroV in Gegenwart von Mavirus überleben. Dadurch fungiert der Virophage als eine Art Abwehrsystem für den Wirt.
Bisher untersuchten die Wissenschaftler*innen um Forschungsgruppenleiter Matthias Fischer nur einen spezifischen Wirts-, einen Riesenvirus- und einen Virophagenstamm unter kontrollierten Laborbedingungen. Um zu testen, ob Virophagen wirklich als Abwehrsystem gegen Riesenviren in wilden Cafeteria-Populationen agieren und die Relevanz eines solchen Systems in der Natur zu bestimmen, analysierten die Forscherinnen und Forscher nun vier aus dem Atlantik und Pazifik isolierte Cafeteria-Populationen auf integrierte Virophagen.
„Unsere unter kontrollierten Laborbedingungen durchgeführten Experimente brachten uns auf die Spur dieses faszinierenden Abwehrsystems“, erklärt Fischer. „Dann war es an der Zeit, nach Beweisen für die Cafeteria-Virophagen-Symbiose in der Umwelt zu suchen. Wir haben die neuesten Techniken zur DNA-Sequenzierung verwendet und die Genome von Cafeteria-Populationen aus unterschiedlichen Meeresregionen rekonstruiert, um dort nach integrierten Virophagen zu suchen.“
Die Gruppe fand nicht nur nahe Verwandte des bereits bekannten Mavirus-Stamms, sondern auch sieben neue Virophagen-Typen, die nur entfernte mit Mavirus verwandt sind und den Wirt vermutlich vor anderen Arten von Riesenviren schützen könnten. Jedes der vier Cafeteria-Genome enthielt Dutzende von Virophagen-Genomen, was darauf hindeutet, dass diese für die Ökologie und Evolution ihrer Wirte von Bedeutung sind.
Als die Forscher*innen jedoch die Positionen der Virophagen in den vier Wirtsgenomen verglichen, fanden sie, dass nur wenige davon in allen Cafeteria-Populationen an der gleichen Stelle auftraten. Dies weist darauf hin, dass der Einbau von Virophagen ein dynamischer und fortlaufender Prozess in der Natur ist und zeigt, dass Virophagen in marinen Ökosystemen hoch aktiv und reichlich vorhanden sind.
„Die Tatsache, dass wir so viele Virophagen in diesen Protisten gefunden haben, ist ein wichtiger Schritt, um ihre Rolle in der Umwelt zu entschlüsseln“, sagt Fischer. „Wir können die neuen Erkenntnisse jetzt mit Laborexperimenten kombinieren, um die Aktivität und Funktion dieser Virophagen zu testen.“
Unerwartet entdeckte das Team auch eine andere Art von mobilem DNA-Element, sogenannte Retrotransposons („springende Gene“), die im Wirtsgenom vorkamen. Die Retrotransposons unterbrachen oft die integrierten Virophagengenome und stellen damit einen neuen Akteur in diesem bereits komplexen mikrobiellen System dar.
„Es ist faszinierend, dass sogar Viren anderer Viren ihre eigenen Parasiten zu haben scheinen. Der ständige Wettlauf zwischen Zellen, Viren und mobilen genetischen Elementen ist eine wichtige Quelle für Innovationen und lehrt uns viel über die Funktionsweisen der Evolution.“